Mein inneres Hin und Her zu Rosenmontag habe ich ja schon beschrieben; wieder einmal war es ein kurzer Gedanke, der den entscheidenden Anschub gab. Hajo hatte woanders geschrieben:
Zitat von highheeloppaDiese Gelassenheit zusammen mit dem Wissen, dass das Lebensende näher kommt, bewirken, dass ich meine Kleidungsvorstellungen mehr und mehr auslebe. Wann immer es möglich ist.
Das begleitete mich die ganzen Tage bis zum entscheidenden Morgen. Eigentlich standen die Zeichen ganz klar auf Stöckelauftritt, begleitet von einem Restzweifel, ob mich im letzten Moment der Mut verlassen würde. Aber dann ging alles ganz leicht.
Eine Viertelstunde früher aufgestanden, schließlich war für die Fußwege zur und von der StraBa mehr Zeit einzurechnen. Nach dem Frühstück rein in die Babettes von Todzi, dunkelblaue schmale Jeans mit umgeschlagenen Hosenbeinen, um die Schuhe nicht zu verdecken und los. Während der Fahrt nur einige mehr oder weniger verstohlene Blicke, sonst nichts. Hier begann ich schon das Gefühl zu genießen, wie selbstverständlich in den hohen Schuhen unterwegs zu sein (das Hin- und Herschwanken die Tage vorher war ja auch lang genug gewesen). Der Weg zur Ausbildungsstätte war weniger schön als erwartet. Meine morgensteifen Muskeln zeigten sich bei den niedrigen Morgentemperaturen wenig stöckelfreudig, aber ich kam heile hin. In der Eingangshalle machten die Absätze auf dem Steinfußboden schon selbst auf sich aufmerksam, im Unterrichtsraum dauerte es auch nur gefühlte zwei Sekunden, bis die erste Kollegin meine Schuhe bemerkte. Danach setzte ein großes Hallo ein, durchweg positiv überrascht und anerkennend. Eine Kollegin, die kurz nach mir in den Raum kam, war bei meinem Anblick regelrecht erleichtert, sie hatte mich schon von Ferne auf der Straße gesehen und fürchtete, Halluzinationen zu haben. Den Komplimenten, auf diesen Höhen laufen zu können, folgten natürlich die Fragen wie lange schon und ob noch mehrere Paar Schuhe. Ich erzählte einfach, wie es bei mir ist und es blieb bei dieser überraschten, positiven und anerkennenden Stimmung. Dann begann der Unterricht. Der Dozent freute sich über die Luftschlangen auf den Tischen, da platzte eine Kollegin gleich raus "Und unser Mann hat sich verkleidet!" Er guckte mich fragend an, da kam es gleich von der Seite "Na, Sie müssen unter den Tisch schauen!" Er tats und kam mit ungläubigem Gesicht wieder hoch und es folgte ein "Häähh!?!", ein ostwestfälischer Urlaut, der Überraschung, Staunen und Lachen ausdrückt. Ich stand auf und zeigte mich von allen Seiten, da er staturmäßig mit der Sicht unter den Tisch etwas Schwierigkeiten hatte. Er erzählte gleich von einem Freund, der ihn mal zu Hause im Schottenrock empfangen hatte. Also im Prinzip nichts Neues unter der Sonne, leben und leben lassen. Der Unterricht begann und ich stellte froh fest, dass meine Knie auch mit 17 cm plus noch Platz unter dem Tisch hatten. In den Pausen nutzte ich das Treppenhaus zum Fitness-Ausgleich, selbstverständlich mit verschiedenen Begegnungen schaute mich in der Teeküche um. Außerdem tröpfelten immer mal Nachfragen aus der Gruppe. Als besonders wohltuend, fast genugtuend empfand eine Kollegin meine Auskunft, dass es mir das Stöckelgefühl angetan habe. Mein "Ja" auf ihre Frage, ob ich dann verstehen könne, dass Frauen so gerne hohe Absätze tragen, ging ihr offensichtlich wie Milch mit Honig runter. Sie meinte, von ihr aus könne ich gerne auch mit meinen anderen Schuhen sowie morgen und an anderen Tagen auf hohen Hacken kommen.
Nach der ersten Pause erzählte der Dozent, er sei schon auf mich angesprochen worden („Sag mal, ist der bei Dir im Kurs??“). Nach der zweiten, es sei schon durch das ganze Haus gegangen "Boah, haste den gesehen, der trägt solche Absätze!", nach der dritten "Mann, Mann, sei froh dass Du unserem Leiter nicht begegnet bist, der hätte gleich einen Vortrag über Arbeitssicherheit und Arbeitsschuhe gehalten." So richtig Angst hätte ich nicht davor gehabt, aber brauchen tat ich es auch nicht.
Im Übrigen richtete ich mich darin ein, die Schuhe über sieben Stunden und meist sitzend an den Füßen zu haben. Also habe ich die verschiedenen Haltungen ausprobiert. Beide Sohlen und Absätze auf dem Boden, abwechselnd mal den einen, dann den anderen Fuß unter dem Stuhl, dann ein Bein halb ausgestreckt, so dass der Absatz schräg auf den Boden kam und die Plateausohle in der Luft hing (fand ich witzig die Stelle und Haltung zu finden, bei der ich das ganze Gewicht des Beins auf dem Absatz ablegen konnte; geht natürlich nur bei Teppichboden). Und natürlich Beine übereinander schlagen und Unterschenkel und Fuß aushängen und entspannen lassen (ist das bei Euch eigentlich auch so, dass dabei unabhängig von der Absatzhöhe der freie Fuß immer die Stellung einnimmt, bei der der Absatz eine gerade Verlängerung des Unterschenkels ist?). Die Kollegin neben mir ist Modedesignerin. Ich hatte insgeheim etwas Bammel vor ihr und ihrem Urteil. Aber trotz der Sockenkombi schien sie Gefallen an der Spielerei zu haben und meinte gegen Ende des Unterrichts, dass ich sie langsam neidisch mache.
Nach diesen positiven Erlebnissen kam natürlich nur eine Fortsetzung auf hohen Hacken infrage. Zurück zu und mit der StraBa; dort zum ersten Mal die Situation, dass eine junge Frau nicht wusste, wie sie ihr Lachen verkneifen bzw. verbergen sollte. Leider hatte ich sie zu spät bemerkt, sonst hätte ich sie mit „Junge Frau, heute ist Rosenmontag, da darf man auch mal lachen!“ ermutigt. Ich fuhr nicht direkt nach Hause, sondern machte einen Umweg, um ein Schreiben beim Versicherungsbüro persönlich abzugeben. Der Weg dorthin hielt allerdings Kopfsteinpflaster der übelsten Sorte bereit. Glücklicherweise nur zwei Meter, aber die reichten mir vollkommen. Dann hatte der gepflasterte Gehweg Gott sei Dank zwei Platten-Streifen. Ich wollte gerade zum Versicherungsbüro, als ich von hinten angerufen wurde. Drei junge Männer mit Migrationshintergrund, sehr schick gekleidet, waren aus dem Friseurgeschäft nebenan heraus gekommen. Sie machten mir Komplimente, die Stiefel ständen mir sehr gut, ob sie mich fotografieren dürften. Ich erlaubte es „Allerdings bitte ohne Gesicht“. Sie bedankten sich und ich mich für die Komplimente. Wieder mal eine Erfahrung, dass türkisch-arabische Männer in dieser Weise deutlich anders gestrickt zu sein scheinen als Deutsche (von Ostwestfalen ganz zu schweigen). Es ging weiter zu einem Schuhladen, wieder mit einem Pflasterstein Intermezzo, bei dem mich sogar eine Säule retten musste. Im Laden war das Schuhangebot leider recht ausgedünnt. Total überrascht hat mich die Bemerkung des Verkäufers „Sie waren ja lange nicht mehr bei uns!“ er hatte recht – mindestens sieben Jahre. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er sich an mich erinnerte. Wir wechselten noch ein paar Worte und ich eingedenk des Kopfsteinpflasters die Schuhe (in memoriam Heinz Erhardt), dann ging es nach Hause. Wer nun meint, die neun Stunden auf Stöckeln seien ja auch genug gewesen – in der StraBa tat es mir schon wieder leid, flach unterwegs zu sein.
Dafür gings am Veilchendienstag weiter. Zwar nicht ab zu Hause, dafür war es mir morgens zu kalt. In der Empfangshalle boten sich dafür viele leere Stühle zum Schuhwechsel an. Der Tag verlief unspektakulär. Das Neue war runter. Zwei andere Paare vorgeführt (die Keilpantoletten von Todzi und die Cocos) ein paar kurze Fragen, die keine wirklich ausführliche Antwort erwarteten. Nur eine lustige Situation als unter Stolperfallen im Alter ungeeignetes Schuhwerk aufgeführt wurde: ich musste doch energisch in die Runde fragen „Wieso guckt Ihr mich denn jetzt so an?!“ (Schließlich war aus der letzten Seite des Skripts doch klar ersichtlich, dass darunter Schlappen und rutschige Hausschuhe zu verstehen waren *empör*. Und als Antwort nur ein achtstimmiges Lachen, ts, ts, ts...) Trotz oder gerade wegen des unspektakulären Verlaufs genoss ich wieder das Gefühl, „einfach so“ auf den 17 cm brutto unterwegs zu sein. Letzteres mag vielleicht das Wertvollste sein, was ich aus den beiden Tagen mitnehme.
Am Mittwoch erschien ich dann wieder in flach. Teils schien das fast erleichtert von anderen Männern zur Kenntnis genommen zu werden, teils ließ sich mit Argusaugen in die Blicke doch etwas Skepsis hineininterpretieren. Ich weiß nicht in wie viel Fällen zurecht... Wilhelm Busch hat schon Recht: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.“ Wobei ich weniger meinen Ruf als ruiniert empfand, sondern mehr zu mir sagte: „Du hast dich mit dieser Seite gezeigt – da brauchst und kannst du nichts mehr verbergen.“ Ich merke allerdings schon, dass dies doch mit dem „Karnevalsbonus“ verknüpft ist. Jetzt noch einmal auf Highheels zu erscheinen, ist doch noch mit Hemmungen verbunden. Abends knüpfte ich an das Hochhackig-gehört-zu-mir-Gefühl an und erledigte meinen Einkauf entsprechend. Anfahrt mit StraBa, zum Laden gestöckelt, die Sachen zusammen gesucht (dabei bieten die Steinfliesen natürlich einen ganz eigenen akustischen Reiz ) und per Fußweg und mit StraBa zurück. Einfach nur schön. Und das macht Lust auf mehr...
Deshalb hatte ich für heute schon weitere Pläne. Zum Nachmittag hatte ich eine Einladung und wollte gleich frühmorgens „richtig beschuht“ zuerst nach Hameln auf Schuhseeing Tour (Erwerb besonderer Exemplare nicht ausgeschlossen). Dann eine kurze Zugfahrt und es wäre es weiter zu der Geburtstagsfeier gestöckelt ähh... gegangen. Doch am Donnerstag meldeten sich beide Sprunggelenke mit Schmerzen. Also erst einmal Stöckelpause, heute meldeten sie sich in flachen Schuhen schon nicht mehr, mal schaun und nicht unbedingt gleich neun Stunden am Stück.
Ach so, noch etwas: während des Schreibens zogen so eigenartige visuelle Ahnungen über das Display: Der Aufzug in der Ausbildungsstätte hatte zwar einen schönen Spiegel, doch mein Handy produzierte Ergebnisse, die nur als Suchbild bzw zur freien Assoziation taugten. Sorry also...
Mutig und ermutigend, so empfinde ich deinen Bericht. Auch mir gingen die Worte von HHO durch den Kopf und er hat völlig recht damit. Auch ich bin inzwischen in einem Alter, in dem die Einschläge immer näher kommen, aber letztlich bin ich doch oft gehemmt, mit Heels vor die Tür zu gehen. Wie bei vielen: Manchmal klappt es, manchmal geht es gar nicht. Daher nochmal danke für den ausführlichen und sehr gut zu lesenden, da kurzweiligen Bericht.
ZitatAls besonders wohltuend, fast genugtuend empfand eine Kollegin meine Auskunft, dass es mir das Stöckelgefühl angetan habe. Mein "Ja" auf ihre Frage, ob ich dann verstehen könne, dass Frauen so gerne hohe Absätze tragen, ging ihr offensichtlich wie Milch mit Honig runter. Sie meinte, von ihr aus könne ich gerne auch mit meinen anderen Schuhen sowie morgen und an anderen Tagen auf hohen Hacken kommen.
Siehste!
ZitatAm Mittwoch erschien ich dann wieder in flach. Teils schien das fast erleichtert von anderen Männern zur Kenntnis genommen zu werden, teils ließ sich mit Argusaugen in die Blicke doch etwas Skepsis hineininterpretieren. Ich weiß nicht in wie viel Fällen zurecht...
Das kenne ich. So als würden die denken "der kann ja sagen was er will - aber wer als Mann Frauenschuhe trägt, ist schwul - auch wenn er wieder flache Schuhe trägt." Sei´s drum! [/quote]
Zitat von 59erMein inneres Hin und Her zu Rosenmontag habe ich ja schon beschrieben; wieder einmal war es ein kurzer Gedanke, der den entscheidenden Anschub gab. Hajo hatte woanders geschrieben:
Zitat von highheeloppaDiese Gelassenheit zusammen mit dem Wissen, dass das Lebensende näher kommt, bewirken, dass ich meine Kleidungsvorstellungen mehr und mehr auslebe. Wann immer es möglich ist.
Tja. Psychologen möchten meinen, wir befänden uns im innerlichen Zwiespalt, w Wären in der Midlife Crisis. Mag sein. Viele Männer starten mit 50 noch einmal durch. Heiraten ein weiteres Mal, suchen sich eine weitaus jüngere Partnerin, machen plötzlich extrem/ Extrem-Sport (Marathon und/oder Fallschirmspringen), usw. Auch die wissen natürlich: das Leben ist endlich, wenn nicht jetzt - wann dann? Gleiches gilt für "verrückte" Kleidungsstile natürlich ebenso. Wenn man dem Rollator hintertrabt, ist es für High Heels zu spät. Und wer weiß was morgen ist? Wer kann schon sagen/ wissen, dass man das Rentenalter erreicht, gesund und munter mit 89 friedlich einschläft... Vielleicht stirbt man morgen beim Verkehrsunfall, bekommt in einem Jahr einen Schlaganfall/ Herzinfarkt oder erliegt in ein paar Jahren einem langen Krebsleiden... wer weiß?! Will man dann rumjammern "ach hätte ich mal!"?
Das heißt jetzt nicht, dass man mit dem Kopf durch die Wand muss und auf Gedeih und Verderb sein Leben radikal ändert und alles über Bord wirft, aber sich doch mal die Freiheit gönnt und nimmt, seinen Spleen auszuleben. Es ist ja aus psyhologischer Sicht angeblich auch nicht gut, Sachen zu unterdrücken. Depression aber auch körperlichen Krankheiten sind dadurch möglich. Muss nicht sein!
Da stöckeln wir uns doch lieber gesund bis ins hohe Alter!
So nun kommen Bilder, zwar nicht live, aber etwas nachgestellt.
Hier erst mal die Babettes, die den kompletten ersten Tag bestritten haben: Mann, es wird mit den Bildern immer lästiger . Ich habe die Bilder auf längste Seite=600 px reduziert, trotzdem meckert das System hier schon bei drei Bildern wegen angeblicher Bildergröße über 800 px.
Seniorenhandy, welches doch tatsächlich mit einer Kamera ausgestattet ist... Der Nebel ist wahrscheinlich auf meine mangelnde Geduld zurückzuführen, nun genau die Stelle in meiner Wohnung herauszufinden, wo die Belichtung optimal ist. Ich hatte mich nach den letzten Versuchen erst einmal über die Sonne gefreut.
Da hast du wirklich Mut bewiesen. Um die Arbeit mache ich immer noch einen großen Bogen. Die Absatzhöhen und die offenen Schuhe sind allerdings auch nicht mein Fall. Für den Alltag wären die mir definitiv zu heftig. Aber solange sie dir gefallen ist ja alles gut.